Immer mehr Familien in Deutschland leben in Patchworkfamilien. Teilweise wird diese Form der Familie in Medien auch als die Familienform der Zukunft gesehen. Scheidungsraten steigen, alternative Familienformen entstehen und immer seltener wird die klassische Kernfamilie. Doch was bedeutet es eigentlich genau in einer Patchworkfamilie zu leben und wie betitel ich mich eigentlich?
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Die Entstehung des Begriffs
Lass uns dafür mal einen Blick in die Vergangenheit werfen: in die Zeit, in der eine Kernfamilie aus Vater-Mutter-Kind(er) bestand.
In dieser Zeit war es üblich, dass es mehrere Kinder in der Familie gab – Verhütung war damals bekanntermaßen noch etwas schwierig.
In dieser Zeit war auch der Tod eines Elternteils nicht selten: Väter starben in Kriegen, die Mütter bei einer der zahlreichen Geburten; oft kamen auch Krankheiten dazu.
Und dann war es üblich, neu zu heiraten und den verstorbenen Elternteil zu ersetzen. Zumindest passierte das oft, wenn die Männer sich andere Frauen suchten – verwitwete Frauen hingegen blieben oft mit der Kinderschar allein. Doch das ist ein ganz anderes Thema.
Früher war also klar: Kinder einer Familie hatten einen Vater und eine Mutter. Starb ein Elternteil, heiratete der andere in der Regel schnell wieder, um die Kinder versorgt zu wissen. So entstand der Begriff „Stiefmutter“ oder „Stiefvater“ – er bezog sich auf die Lücke, die durch den Tod des leiblichen Elternteils entstanden war.
Das Wort „Stief“ stammt aus dem Germanischen und bedeutet so viel wie „beraubt“. Und daraus resultierte diese negative Besetzung: Die Kinder wurden einem Elternteil beraubt und bekamen einen neuen dazu. Der Stiefelternteil war dann Ersatz und das führte oft zu Konflikten und schlussendlich zum Bild der „bösen Stiefmutter“, welches durch Märchen und andere Geschichten noch verstärkt wurde.
„Optimal für die Kinder ist es, wenn die leiblichen Eltern anständig miteinander umgehen und der neue Partner nicht die Erzieherrolle übernimmt, sondern dem Kind ein guter Erwachsenenfreund wird“.
Jesper Juul
Der Blick in die Gegenwart
Heute gibt es viele Gründe, warum sich Familien verändern: Trennung, Scheidung, Wiederheirat.
Wenn ein neuer Partner hinzukommt, ist die Situation eine andere als früher. Trotzdem haftet dem Wort „Stiefmutter“ oft noch etwas Negatives an, durch Märchen wie Schneewittchen oder Aschenputtel.
Wir müssen mittlerweile niemanden ersetzen und dieser Anspruch besteht in den meisten Fällen auch nicht.
Doch das Finden in diese Rollen ist immer noch herausfordernd. Möglicherweise wollte der Stiefelternteil keine eigenen Kinder und sieht sich nun mit den Kindern des Partners/ der Partnerin konfrontiert. (So wie bei mir.)
Oder man zieht zu der bestehenden Familie und fragt sich: „Wo ist mein Platz in dieser Konstellation?“ und ist auf der Suche nach einer gemeinsamen Neuausrichtung des Familienmodells.
In vielen Fällen kommen auch die eigenen Kinder mit dazu und dann gilt es nicht nur sich selbst in die neue Aufstellung einzufinden, sondern auch die Kinder miteinander zu verknüpfen. Und auch die gemeinsam verbrachte Zeit gestaltet sich unterschiedlich: je nach Aufteilung des Sorgerechts und der Wohnorte. (Bei uns beispielsweise kommt erschwerend hinzu, dass die Kinder in Frankreich leben und eine andere Sprache sprechen)
Und diese Vielfältigkeit demonstriert der Begriff der Patchworkfamilie. Was nach einem lustigen, vielfältigen Fleckenteppich klingt, ist in der Realität oft anders und mit vielen Stolpersteinen verbunden. Auch wenn Beispiele wie dieses hier beweisen, wie schön das Zusammenleben sein kann.
Es geht ja schon mit der Begrifflichkeit los: Es gibt den biologischen Elternteil, welcher maßgeblich an der Zeugung des Kindes beteiligt war. Es gibt den rechtlichen Elternteil, welcher das Sorgerecht innehat (oder diese Rechte durch eine Adoption erworben hat). Und es gibt den sozialen Elternteil, der ohne gesetzliche Rechtsansprüche für das Kind eine wichtige Bezugsperson darstellt. Leider ist das aber gesetzlich so nicht verankert – wie soll man da den Überblick behalten?
Meine Begriffsklärung
Wie nenne ich mich nun als Stiefmutter? Ich persönlich tue mich mit der Betitelung meiner Position unglaublich schwer.
Stiefmutter ist für mich zu negativ besetzt, Bonusmama finde ich insofern gut, als es suggeriert, dass es etwas Zusätzliches und nichts Ersetzendes ist.
Jedoch finde ich das Mama darin blöd, denn Mama möchte ich eigentlich nicht sein.
Da die Kinder meines Partners französischsprachig aufwachsen, nennen sie mich „belle-mere„, was übersetzt die „schöne Mutter“ bedeutet.
Klingt wundervoll, allerdings finde ich die leibliche Mutter der Kinder auch schön und ich will weder auf mein Äußeres beschränkt werden, noch eine Mutter sein. Was außer Bonus bin ich denn dann?
Ich bin Sally, die Partnerin von Stéphane, dem Papa der beiden Mädchen. Vor allem bin ich Sally. Das gefällt mir. Ich bin ich, mit all meinen Seiten und Facetten. Eine Person in der Lebensrealität der Kinder, an der sie sich orientieren können, mit der sie Spaß haben können und die vielleicht eine Bezugs- oder Vertrauensperson ist. Alles kann sein, nichts muss.
Das nimmt Druck raus, auf meiner Seite. Doch mit Sicherheit auch aufseiten der Mädchen.
Denn als Sally müssen sie mich nicht mögen oder gar lieben. Aber ich bin Bestandteil ihrer Lebenswelt und darum geht es doch: den Weg miteinander zu finden. Zu einem zu Hause, in der sich alle wohlfühlen und sein können. Ganz unabhängig davon, wie wir das Konstrukt nennen.
In a Nutshell
Immer mehr Kinder wachsen heutzutage in Patchworkfamilien auf.
Doch welche Rolle nimmt man als Stiefmutter ein? Der Begriff „Stiefmutter“ ist historisch negativ behaftet. Heute gibt es alternative Bezeichnungen wie „Bonusmutter“. Persönlich finde ich diese aber auch nicht optimal.
Am liebsten bin ich einfach Sally – ich selbst. Für die Kinder meines Partners möchte ich eine erwachsene Bezugsperson sein, an der sie sich orientieren können. Wie wir das Rollenverhältnis nennen, ist zweitrangig.
Wichtig sind Offenheit und klare Absprachen. Jeder muss seinen Platz in der Patchworkfamilie finden. Geduld und Liebe zum Kind sind der Schlüssel zu einer gelingenden Beziehung. Welchen Begriff findest du angemessen? Lass uns gern darüber in den Austausch gehen, ich freue mich darauf!
Mach’s ganz gut,
Deine Sally