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Neulich erzählte mir eine Klientin, dass sie gehört hatte, wie ihr Bonuskind am Telefon zur Mutter sagte „Ja, mir geht es auch nicht gut. Ich vermisse dich auch.“ Und das, obwohl das Kind den ganzen Tag unbeschwert gespielt hatte. 
Später erzählte das Kind, dass es das gesagt hatte, weil die Mutter dem Kind gesagt hatte, dass sie es schrecklich vermisst – das Kind wollte somit die Bindung zur Mutter aufrechterhalten – ein klassischer Loyalitätskonflikt. 
Dies ist eine der 5 Herausforderungen, die die amerikanische Psychologin Patricia Papernow erforscht hat. Und heute schauen wir uns dies mal genauer an.

 

Die 5 Herausforderungen im Überblick

Patricia Papernow hat in ihrer Arbeit fünf zentrale Herausforderungen identifiziert, mit denen Stieffamilien konfrontiert sind:

  1. Die Positionen von „Insidern“ und „Outsidern“ im Paar sind oft festgefahren und intensiv.
  • Der neue Partner fühlt sich oft ausgeschlossen und muss seinen Platz in der bereits bestehenden Familieneinheit finden.
  • Die Kinder haben eine enge Bindung an den biologischen Elternteil und können den neuen Partner als Bedrohung wahrnehmen.
  1. Kinder in Patchworkfamilien kämpfen mit Verlusten und Loyalitätskonflikten und oftmals mit zu vielen Veränderungen in zu kurzer Zeit.
  • Sie müssen den Verlust der ursprünglichen Familienstruktur verarbeiten.
  • Sie fühlen sich hin- und hergerissen zwischen dem biologischen Elternteil und dem neuen Partner.
  • Sie müssen sich an neue Regeln, Routinen und möglicherweise einen neuen Wohnort gewöhnen.
  1. Erziehungsaufgaben können das Paar spalten, wenn es unterschiedliche Ansichten gibt.
  • Der biologische Elternteil und der neue Partner können unterschiedliche Erziehungsstile und -vorstellungen haben.
  • Es kann zu Konflikten kommen, wenn der neue Partner in die Erziehung eingreift oder der biologische Elternteil sich in seiner Elternrolle bedroht fühlt.
  1. Die Familie muss eine neue Familienkultur schmieden und gleichzeitig eine Vielzahl von Unterschieden navigieren.
  • Jedes Familienmitglied bringt seine eigene Geschichte, Werte und Gewohnheiten mit.
  • Es gilt, neue Traditionen und Rituale zu entwickeln, die alle einbeziehen.
  • Bonuseltern übernehmen dabei keine Erziehungsmacht, diese bleibt beim Elternteil.
  1.  In Patchworkfamilien gibt es mindestens einen Ex-Partner – ob lebend oder verstorben – außerhalb der Kernfamilie, der untrennbar mit der Familie verbunden ist.
  • Die Beziehung zum Ex-Partner beeinflusst die Dynamik in der Patchworkfamilie.
  • Konflikte zwischen den Ex-Partnern können auf die neue Familie übergreifen.
  • Kinder haben weiterhin eine Bindung an den außerhalb lebenden Elternteil, was berücksichtigt werden muss.

Lass uns nun direkt mal tiefer in die zweite Herausforderung einsteigen.

Zwischen den stühlen 

Ich möchte dir gern die 13-jährige Emma vorstellen. Ihre Eltern haben sich vor einem Jahr getrennt und jetzt hat ihr Vater eine neue Partnerin, Lisa. Sie mag Lisa eigentlich ganz gern, aber immer, wenn sie sieht, wie vertraut sie und dein Vater miteinander umgehen, fühlt sie einen Stich im Herzen.

Es ist, als würde sie ihren Vater verlieren – an diese andere Frau, die plötzlich so viel Zeit mit ihm verbringt. Gleichzeitig hat sie das Gefühl, ihre Mutter zu verraten, wenn sie sich zu sehr auf Lisa einlässt. Sie fühlt sich hin- und hergerissen, zwischen zwei Stühlen.

Solche Verlusterfahrungen und Loyalitätskonflikte sind für Bonuskinder wie Emma eine schwere Last. Sie müssen nicht nur den Verlust der ursprünglichen Familie verkraften, sondern auch den Verlust der exklusiven Beziehung zum leiblichen Elternteil. Wenn Papa mit der neuen Partnerin schmust, fühlen sie sich schnell vernachlässigt, verlassen und ängstlich.

Der Loyalitätskonflikt – das Gefühl, Mama oder Papa zu verraten, wenn man die Bonuseltern mag – kann quälend sein. Selbst bei einvernehmlichen Trennungen ist diese Zerrissenheit für Kinder eine große Belastung. Kommt es zwischen den leiblichen Eltern zum Streit, wird sie sogar unerträglich.

Während Erwachsene oft schnell vorwärtsgehen wollen, brauchen Kinder mehr Zeit, um sich an die neue Situation anzupassen. Gerade Teenager wie Emma, Kinder mit tieferen Loyalitätskonflikten und Kinder, die bereits andere Verluste erlebt haben, benötigen ein langsameres Tempo, viel Eins-zu-eins-Zeit mit Mama oder Papa und weniger Aktivitäten mit der ganzen Patchworkfamilie.

„Wahre Loyalität kennt keine Geheimnisse, keine Heimlichkeiten und keine doppelten Gesichter.“
– unbekannt

Das leben in der schneekugel

Emmas Leben gleicht einem Wirbelsturm der Veränderungen. Erst die Trennung ihrer Eltern, die ihr den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Dann der Umzug in eine neue Wohnung, weg von ihrem vertrauten Zuhause, ihren Freunden und Nachbarn. In der Schule ist sie jetzt die Neue, muss sich erst wieder ihren Platz suchen. Und nun auch noch Lisa, die neue Partnerin ihres Vaters, die plötzlich ständig präsent ist.

Emma fühlt sich, als hätte jemand ihr Leben in eine Schneekugel gepackt und kräftig geschüttelt. Nichts ist mehr, wie es war. Beim Frühstück gibt es plötzlich Smoothies statt Nutella-Brote, weil Lisa auf gesunde Ernährung achtet. Im Bad stehen fremde Shampoos und Cremes, die nach Vanille und Kokosnuss duften. Und im Wohnzimmer hängen Bilder von Lisas letztem Urlaub, auf denen ihr Vater mit ihr am Strand lacht.

Für Emma geht das alles viel zu schnell. Sie hat kaum Zeit, sich an eine Veränderung zu gewöhnen, da steht schon die nächste vor der Tür. Manchmal wünscht sie sich ihre alte Welt zurück, in der alles vertraut und vorhersehbar war. Doch die gibt es nicht mehr. Stattdessen muss sie sich nun in einer neuen Realität zurechtfinden, in der sich alles fremd und chaotisch anfühlt.

Emmas Vater wünscht sich, dass sie die Veränderungen genauso positiv sieht wie er. Dass sie Lisa mit offenen Armen empfängt und dankbar ist für die schöne neue Wohnung und all die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Doch für Emma ist das nicht so einfach. Sie braucht Zeit, um zu trauern und Abschied zu nehmen von dem, was sie verloren hat. Zeit, um sich an all das Neue zu gewöhnen und es langsam in ihr Leben zu integrieren.

Als Eltern und Bonuseltern ist es unsere Aufgabe, Verständnis für diese Überforderung zu haben. Anstatt Begeisterung und schnelle Anpassung zu erwarten, sollten wir den Kindern den Raum geben, den sie brauchen, um mit den Veränderungen Schritt für Schritt klarzukommen. Nur wenn wir ihr Tempo respektieren und ihre Gefühle ernst nehmen, können sie nach und nach in ihrem neuen Leben ankommen.

Strategien, um das Kind zu unterstützen

Wenn wir als Eltern und Bonuseltern erleben, wie unsere Kinder mit Verlusten, Loyalitätskonflikten und Überforderung kämpfen, fühlen wir uns oft hilflos. Doch es gibt Wege, wie wir sie in dieser herausfordernden Situation unterstützen können:

  • Nehmt euch Zeit: Akzeptiert, dass die Anpassung an die neue Familiensituation für Kinder oft länger dauert als für Erwachsene. Geht die Veränderungen in einem Tempo an, das für die Kinder verträglich ist. Überstürzt nichts und habt Geduld.

  • Schafft Stabilitäten: Inmitten all der Veränderungen brauchen Kinder Ankerpunkte, an denen sie sich festhalten können. Etabliert verlässliche Routinen und Rituale, die ihnen Halt und Sicherheit geben. Das können feste Zeiten für gemeinsame Mahlzeiten, Gute-Nacht-Geschichten oder Wochenendausflüge sein.

  • Seid aufmerksam: Beobachtet eure Kinder genau und versucht, ihre Perspektive einzunehmen. Welche Verhaltensweisen oder Stimmungen deuten darauf hin, dass sie überfordert sind? Wann zeigen sich Anzeichen von Loyalitätskonflikten bei den Bonuskindern? Je besser ihr ihre Bedürfnisse versteht, desto gezielter könnt ihr darauf eingehen.

  • Bietet Gesprächsangebote: Zeigt den Kindern, dass ihr für sie da seid und ein offenes Ohr für ihre Sorgen habt. Fragt sie nach ihren Gefühlen und Gedanken, ohne sie zu drängen. Manchmal hilft es schon, wenn sie wissen, dass sie mit euch über alles reden können.

  • Gestaltet Eins-zu-eins-Zeit: Plant bewusst Zeitfenster ein, in denen ihr euren Kindern eure ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. Ob ihr mit ihnen spazieren geht, Gesellschaftsspiele spielt oder einfach nur kuschelt – wichtig ist, dass sie spüren, dass sie nicht um eure Zuwendung konkurrieren müssen.

  • Erlaubt Ambivalenzen: Macht den Kindern klar, dass es okay ist, wenn sie gemischte Gefühle gegenüber der neuen Familiensituation haben. Sie dürfen die Bonuseltern nett finden und gleichzeitig ihre leiblichen Eltern vermissen. Sie dürfen sich auf das Neue freuen und gleichzeitig das Alte betrauern. Widersprüchliche Emotionen sind normal und müssen nicht aufgelöst werden.

Mit Einfühlungsvermögen, Geduld und liebevoller Zuwendung können wir unseren Kindern helfen, ihre Verluste zu verarbeiten, Loyalitätskonflikte zu überwinden und in der Patchworkfamilie anzukommen. Vertraut darauf, dass jedes Kind seinen eigenen Weg und sein eigenes Tempo finden wird – und begleitet es dabei ohne Druck und Erwartungen.

 

IN A NUTSHELL

Bonuskinder in Patchworkfamilien sind oft mit schmerzhaften Verlusterfahrungen und belastenden Loyalitätskonflikten konfrontiert. Sie müssen nicht nur den Verlust der ursprünglichen Familie verkraften, sondern auch lernen, sich in einer neuen Familienkonstellation zurechtzufinden, ohne die leiblichen Eltern zu verletzen. Hinzu kommt die Überforderung durch zu viele und zu schnelle Veränderungen, die die Kinder leicht aus dem Gleichgewicht bringen können.

Du wünschst dir Unterstützung bei dieser Reise? Dann schreibe mir eine private Nachricht und lass uns darüber sprechen, wie ich dich und deine Patchworkfamilie dabei unterstützen kann!

Mach’s ganz gut,
Deine Sally